Freitag, 3. Juni 2011

Eine verpasste Chance: Oldenburger Erklärung des 16. Deutschen Präventionstages

Der diesjährige Präventionstag am 30. und 31, Mai in Oldenburg war sehr um Berichterstattung in den Medien bemüht, die "großen" Medien wollten aber nichts vom Präventionstag wissen, weil ebenfalls in diesem Jahr die Erklärung - auch unserer Sicht - sich zwar vernünftig liest, aber an der Realität des Medienalltags gemessen als weltfremd zu bezeichnen ist. Dass es sich beim Internet um ein GLOBALES Medium handelt und mit nationaler Gesetzgebung hier im Endeffekt nicht viel zu reißen ist, will die Erklärung nicht wahrhaben - beim vorangegangenen Hamburger Symposium zum online-Jugendschutz (Bericht siehe unten) wurde für dieses Problem zwar auch keine Lösung gefunden, aber das Problem wurde wenigstens benannt und anerkannt.

So fordert der Deutsche Präventionstag, das Internet nicht zum rechtsfreien Raum werden zu lassen. Es gelte, eine Balance zwischen dem Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit und den berechtigten Schutzbedürfnissen der Internetnutzer zu finden. Gerade weil ein großes wirtschaftliches und politisches Interesse an der Nutzung digitaler Medien und dem freien, ungehinderten Zugang zum Internet bestünde, müssten die Internetnutzer darauf bauen können, dass der Rechtsstaat durch Rahmenbedingungen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstelle. Davon unabhängig gelte es, weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, alle Internetnutzer über die möglichen Folgen der zunehmenden Online-Kriminalität und hier besonders über die des Identitätsdiebstahls aufzuklären, sie noch stärker für die Risiken zu sensibilisieren sowie sinnvolle Schutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Allerdings stellt die Erklärung auch fest, dass die Warnungen vor den nahezu ungebremsten Anreizen und Möglichkeiten des Internets in Hinblick auf seine missbräuchliche Nutzung in deutlichem Widerspruch zum tatsächlichen Wissen über die mit dem Internet verbundenen Gefahren und Risiken stünden! Letztlich fehlen breit angelegte, repräsentative kriminologische Studien ebenso wie langfristig angelegte Panel- und Längsschnittuntersuchungen, es gebe keine hinreichend verlässliche Datengrundlage, die es dringend zu schaffen gelte - kurzum: Nichts Genaues weiß man nicht...

Zu den Risiken zählten vor allem ein allzu sorgloser Umgang mit den eigenen Daten, Auswirkungen von Gewaltdarstellungen und insbesondere von Computerspielen auf das eigene Verhalten, übermäßiger Medienkonsum bis hin zur Computersucht, Konfrontation mit Pornographie und sexueller Belästigung, politisch motivierte Kriminalität und Extremismus, Cybermobbing und Cyberbullying, aber auch die Verletzung von Persönlichkeits- und Urheberrechten. Allerdings liegen bislang nach Angaben der Erklärung kaum verlässliche Angaben darüber vor, wie viele Heranwachsende tatsächlich schon mit problematischen Inhalten in Berührung gekommen sind und welche Auswirkungen diese Inhalte auf sie haben (oder auch nur haben könnten) bzw. ob, wie häufig und wie lange die jungen Menschen riskantes, zu sorgloses oder sogar strafrechtlich relevantes Verhalten zeigen.

Der Deutsche Präventionstag macht sich jedoch offenbar über Jugendliche als potentielle Opfer wesentlich weniger Sorgen als über Jugendliche als potentielle Täter. So vertritt er die fragwürdige und nicht näher belegte Auffassung, dass die meisten Jugendlichen vernünftig mit dem Computer umgehen könnten und durchaus die Balance zu anderen Aktivitäten fänden. Es gäbe daher keinen Grund anzunehmen, dass die „digitale“ Jugendkriminalität und Jugendgefährdung anderen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unterliege als die „analoge“ Jugendkriminalität. Deshalb solle sie hier wie dort mit „Augenmaß“ betrachtet und beurteilt werden. Wie der Präventionstag zu solch einer Ansicht gelangt, da nach eigenem Bekunden es hierfür keine verlässliche Datengrundlage gibt - diese Erklärung bleibt die Erklärung uns schuldig. "Bauchgefühl", oder was?

Abschließend empfohlen wird Kriminalprävention durch rechtliche sowie (sicherheits)technische Regelungen, Maßnahmen und Empfehlungen, Kriminalprävention durch Jugendmedienschutz sowie Kriminalprävention durch Medienkompetenz. Leider bleibt dies so allgemein wie hier dargestellt - die sicherheitstechnischen Regelungen konkret zu benennen wäre für "Netzaktivisten" und Eltern sicherlich sehr interessant gewesen.

Mag man vielen der am Präventionstag Anwesenden die Forderung nach mehr kriminologischer Forschung nachsehen, da dies schließlich ihr Beruf ist (in Zeiten, in denen die Forschung zu Tode gespart wird), wirkt jedoch die Ansicht, der in Deutschland vorhandene gesetzliche Jugendmedienschutz sei grundsätzlich geeignet, um problematische Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten, vollkommen weltfremd. Wie im unten stehenden Bericht nachzulesen, wurde diese Haltung noch vor wenigen Tagen beim Hamburger Symposium zum Thema online-Jugendschutz (mit ebenfalls hochkarätigen Vertretern) mit schallendem Gelächter quittiert.

Doch der Präventionstag sieht den nationalen Gesetzgeber gefordert, weil die Einflussnahme vieler Eltern auf den Medienumgang ihrer Kinder abnehme bzw. sich nicht wenige Eltern tendenziell aus der Verantwortung verabschiedet hätten, weil sie hinsichtlich des Umgangs mit den neuen Medien nicht über das erforderliche Wissen verfügten. Wie das der Gesetzgeber - auch noch - leisten soll, das erfahren wir aus der Erklärung nicht. Da nicht davon ausgegangen werden dürfe, dass diese Unterstützung in allen Fällen von den Eltern erbracht werden könne, seien insbesondere die Schule gefordert, Medienkompetenz zu vermitteln.

Während im Verlauf der Tagung laut Medienberichten immerhin von Christian Pfeiffer, dem 67-jährigen(!) Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover gefordert wurde, die Computersucht als Krankheit anzuerkennen und bei der Altersfreigabe von Computerspielen auch das Suchtpotenzial der Spiele zu beachten, findet sich hiervon leider nichts in der abschließenden Erklärung. Schade - eine verpasste Chance, die dafür gesorgt hätte, dass der Präventionstag wieder mehr Gewicht in der öffentlichen Diskussion erlangt hätte.

Fazit: Die Eltern haben nach Ansicht des Präventionstages offenbar schon kapituliert, sind wohl auch nicht kompetent genug, obwohl es eigentlich (mal wieder) Schule und Elternhaus richten sollen. Am Ende des Tages wieder ein sinnloser Appell mehr, der den Betroffenen und ihren Angehörigen nicht weiter hilft.

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