Mittwoch, 1. Juni 2011

Im Internet gibt es keinen Jugendschutz

Eindrücke vom Symposium "Online-Jugendschutz - geht's noch?"

Das Thema betrifft uns natürlich direkt, denn ein funktionierender online-Jugendschutz könnte ja theoretisch auch in der Vorbeugung von z.B. online-Rollenspielsucht, Internetsucht und verwandten Verhaltenssüchten sinnvoll eingesetzt werden. Wir waren also gespannt, was bei der mit schätzungsweise dreihundert Teilnehmern sehr gut besuchten Veranstaltung herauskommen würde, die am 25. Mai 2011 in der Handelskammer Hamburg von eben dieser sowie der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und dem Hans-Bredow-Institut veranstaltet wurde.

Einleitend betonte Dr. Schünemann, Vizepräses der Hamburger Handelskammer, dass zwar Einigkeit darüber bestünde, wovor Kinder und Jugendliche zu schützen seien, nicht aber über das WIE. Das Symposium wollte hier zur Klärung beitragen und der Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, Thomas Fuchs, stellte das Thema Regulierung als das derzeit beherrschende Thema der Medienbranche heraus. Er kritisierte unsere Politiker dafür, dass "Netzpolitik" zwar derzeit in Mode sei, sich aber die Bundespolitik in der Komplexität des Themas verheddere. Aufgrund seiner Position ging es ihm in erster Linie um Fragen der Gesetzgebung, beispielsweise des Jugendmedienschutzstaatsvertrags - das Wortungetüm lässt erahnen, wie sehr sich Juristen in einer eigenen Welt befinden können, die sich nur teilweise mit dem "real life" überschneidet. Interessanterweise betonte Fuchs auch die Bedeutung der Rechtssicherheit für die Wirtschaft. Wer seinen Ausführungen zur Konvergenz, also bildhaft gesprochen der Verschmelzung der Medien, insbesondere der Verschmelzung von Fernsehen, Internet und Mobiltelefeon aufmerksam lauschte, musste sich am Ende fragen, ob Landesmedienanstalten in einigen Jahren in einer restlos globalisierten Kommunikationsumgebung überhaupt noch irgendeine faktisch relevante Rolle spielen werden - einen zunehmenden Bedeutungsverlust der Landesmedienanstalten räumte Fuchs immerhin selbst ein.

Mit großer Spannung erwartet wurde vor diesem Hintergrund die "Keynote" des neuen Hamburger Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz. Dass Scholz überhaupt sich hier persönlich engagierte und als erster "Landesvater" zu diesem Thema Stellung bezog, lässt hoffen, dass die Bedeutung des Themas Medien zumindest in Hamburg (als der selbst ernannten Medienhauptstadt Deutschlands) in einer Weise ernst genommen wird, die dem Thema angemessen ist.

Scholz erinnerte die Zuhörer zunächst einmal an die für manche Regulierungsbefürworter unbequeme Wahrheit, dass sich das Internet urwüchsig entwickle und der "Geist der Freiheit" tief im Internet sitze. Er betonte aber auch, dass eine Demokratie verschiedene Rechtsgüter wie beispielsweise Freiheit und Jugendschutz abzuwägen habe. Für Scholz muss der Umgang mit einer ubiquitären Öffentlichkeit wie dem Internet gelernt werden, aber auch technische Kontrollinstanzen müssten geprüft werden, die nach seiner Ansicht auch neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze ermöglichen könnten. Die Forderung "Computer raus aus dem Kinderzimmer" nannte er unrealistisch "und auch nicht wünschenswert". Nötig sei vielmehr eine "digitale Alphabetisierung" quer durch die Gesellschaft und alle Altersklassen, um sich den technischen Möglichkeiten verantwortungsbewußt zu stellen. An dieser Stelle verwies Scholz auch nachdrücklich auf die Bedeutung der digitalen Medien für die gesellschaftliche Teilhabe. Für den Bürgermeister der Hansestadt lassen sich neue, akzeptable Regeln nicht von oben verordnen, sondern nur im Dialog entwickeln. Aus unserer Sicht interessant und unterstützenswert war sein dementsprechendes Motto "Kluge Politik spricht nicht über die Netznutzer, sondern mit den Netznutzern".

Freilich musste auch Scholz einräumen, dass "Jugendmedienschutz eine große Herausforderung" darstelle, "die wir noch nicht bewältigt haben". Kindern und Jugendlichen den Zugang zu erschweren (wie das beispielsweise bei pay-TV der Fall ist) hält Scholz nur für teilweise auf das Internet übertragbar. Hier müssten neue Wege gegangen werden, wobei er einige seiner Meinung nach positive Beispiele aufzählte, wie z.B. das jugendschutz.net, bestimmte software zur elterlichen Kontrolle und attestierte der bestehenden "regulierten Selbstregulierung" gute Arbeit zu leisten, wobei die bisherigen Instrumente zum Jugendschutz jedoch weiter evaluiert und an die Bedingungen im Internet angepasst werden müssten. Einem "Wettlauf" um die ständige Verschärfung der Schutzvorkehrungen erteilte er jedoch ebenso eine Absage wie einem ungeprüftem Mehr an Kontrolle.


Unter dem Hinweis, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen nicht zeitgemäß seien, plädierte er dafür Eltern mehr Instrumente an die Hand zu geben, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Allerdings: Die Kommission für Jugendmedienschutz hat nach Angaben von Scholz bislang noch KEIN entsprechendes Produkt zur Internetkontrolle zugelassen! Nach Meinung von Scholz sind hier die juristischen Hürden zu hoch. Er sprach sich für eine Erweiterung der "regulierten Selbstregulierung" aus und dafür dass die Nutzer bzw. deren Eltern die Kontrollinstrumente selbst ausüben. Zu Recht erinnerte Scholz zum Abschluß seiner Ausführungen für die Zukunft an den besonderen Schutzbedarf Jugendlicher in Zusammenhang mit smartphones. Insgesamt vermochten die klaren und vernünftigen Ausführungen des Bürgermeisters zumindest unser Team zu überzeugen - es bleibt aber abzuwarten, ob den guten Vorsätzen auch Taten folgen werden, insbesondere im Hinblick auf Aufklärung im Sinne einer "digitalen Alphabetisierung" von Eltern oder ob das Thema zum Objekt von "Sonntagsreden" verkommt.

Im Anschluß kam mit Dr. Enßlin ein Vertreter der Wirtschaft zu Wort. In seiner Funktion als juristischer Vorstand des Bezahlfernsehsenders "sky" sieht auch er die Zukunft des Fernsehens auf mobilen, internetfähigen Endgeräten. Für ihn müssen nicht die Inhalteanbieter, provider und hardware-Hersteller in die Pflicht genommen werden, sonder die Eltern. Diese sollen ihre Kinder schrittweise an einen sicheren Umgang mit digitalen Medien heranführen und selbst entscheiden dürfen, ob beispielsweise spezielle Technik zum Schutz der Kinder eingesetzt werden soll oder nicht. Für ihn müssen solche technischen Schutzvorrichtungen aber in jedem Fall effizient, bedienerfreundlich sowie angebots- und geräteübergreifend gestaltet sein. Seine abschließende Meinung zum Thema des Symposiums war eindeutig: Jugendschutz finde online "nicht statt".

Die anschließende Diskussion mit Vertretern aus der Verlagswelt und der Computerspiele-Industrie ließ deutlich werden, dass für Hersteller von Computerspielen das deutsche Jugendmedienschutzgesetz als ein so eklatanter Standort-Nachteil empfunden werden könnte, dass sich manche Firma unter Umständen zur Abwanderung ins Ausland gezwungen sähe. Wegen der juristisch bedingten ungleichen Rahmenbedingungen sei der Standort Deutschland für die Spieleindustrie "auf tot gesetzt" - eine klare Ansage. Der Repräsentant eines großen Hamburger Verlagshauses wies auf die in seinem Hause seit Jahren praktizierte korrekte Anwendung der bestehenden Gesetze hin und wollte die Pressefreiheit von möglichen zukünftigen technischen Kontrollprogrammen ausgenommen wissen. Die Verteidigung der Pressefreiheit ehrt die Verleger - freilich wissen wir: Jugendliche lesen Zeitungen nur noch in vereinzelten Ausnahmefällen, weshalb große Verlage z.B. in der Vergangenheit Portale wie "StudiVZ" für viel Geld aufkauften (Pech, dass die meisten Jugendlichen danach zu facebook abwanderten...). Dass die jüngere Generation für die Zeitungen weitgehend verloren scheint, ist ein existenzielles Problem der Branche, das zumindest im vorliegenden Zusammenhang den Vorteil hat, dass die Presse sich über Jugenschutz wenig Gedanken zu machen braucht, da sie keine Jugendlichen erreicht.

Aufschlußreich war in der Diskussion auch, dass ein technisch eingebauter Jugendschutz offenbar solche Kunden "nervt", die keine Kinder haben - uups, sind wir nicht mittlerweile eine "kinderlose Gesellschaft"? Was das für den weiteren Einbau solcher Schutzvorrichtungen bedeuten mag, wird abzuwarten sein. Während sich die Jugenschutzbeauftragte eines großen norddeutschen öffentlich-rechtlichen Senders wunderte, dass es ausgerechnet beim Jugendschutz keine Produkthaftung und keine Haftung der Inhalte-Anbieter gebe, kamen die Vertreter der Wirtschaft darin weitestgehend überein, dass ein wirksamer Jugendschutz weltweit gültig sein müsste. Allerdings waren die Wirtschaftsvertreter skeptisch, ob es möglich sein würde, "das Gros" z.B. der Hardware-Anbieter weltweit ein einen Tisch zu bekommen, um solche Kontrollinstrumente einzurichten. Eine provider-Haftung wurde von diesen Fachleuten für juristisch und praktisch nicht durchführbar gehalten. Es bestehen auch von Land zu Land sehr unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Jugendschutzes, beispielsweise was als verbietenswerte Pornographie zu gelten habe. Der Vertreter der Spieleindustrie favorisierte trotz der genannten Einwendungen Filterprogramme, die ein sogenanntes tagging benutzen.

Bezeichnend für die aktuelle Situation war dann die folgende Szene: Während die genannte Jugendschutzbeauftragte darauf bestand, dass in Deutschland ein "Jugendschutzstaatsvertrag" existiere und kein "rechtsfreier Raum", wies der Moderator der Diskussion die Jugendschutzbeauftragte unter allgemeinem Gelächter des Saales darauf hin, dass dies nur für Deutschland gelte. Letztlich fehlten wirksame Kontrollinstanzen für das Internet. Da blieb der Jugendschutzbeauftragten nur noch der Rückzug auf die Forderung, bundesweit ein Schulfach "Medienkompetenz" einzurichten. Die Publikumsbeteiligung verwies auf die Bedeutung des mobbing im Internet, z.B. mittels facebook. Hier sind auch schon erste Selbstmorde von Schülern aufgrund von cybermobbing zu beklagen. Wie dem cybermobbing begegnet werden könne, darauf hatten die Experten außer "Medienkompetenz fördern" keine Antwort. Versachlichend war auch der Hinweis in der Diskussion, dass die von deutschen Nutzern meistbesuchtesten Seiten des Internets hardcore-Pornographie-Seiten sind - noch vor facebook&Co. Eine weitere unbequeme Wahrheit...

Deutlich wurde auch, dass der Begriff der Medienkompetenz unscharf bleibt, auch wenn die Aufklärung über mögliche Risiken und Gefahren offenbar für alle Experten zentral für diesen Begriff zu sein scheint. Auf die Publikumsfrage, welche der auf dem Podium vertretenen Firmen denn Geld für die Förderung der Medienkompetenz bereit stellen möchte, war die Reaktion ausweichend: Der Jugendschutz koste das Unternehmen bereits einen hohen sechsstelligen Betrag mit eigenen Jugendschutzbeauftragten hier, das Unternehmen gebe bereits mehrere zehntausend Euro für die Leseförderung aus dort... unterm Strich: Keinen Cent extra für die Medienkompetenz seitens der auf dem Podium vertretenen Unternehmen! Deshalb wurden die Wirtschaftsvertreter auch seitens des Publikums bezichtigt, Medienkompetenz sei für sie ein Thema für Sonntagsreden.

Im zweiten Teil des Symposiums machte der in Berlin lehrende Medienwissenschaftler Dr. Stefan Münker den für ihn zentralen Unterschied zwischen einem "freien" und einem "offenen" Internet deutlich. "Frei" sei das Internet von Anfang an nie gewesen, obwohl der Mythos des Internets darauf beruhe. Die Offenheit des Internets sei aber für sein Fortbestehen zentral, sonst würde es "den Kältetod sterben". Offenheit meint hier unter anderem, dass das Internet von den Aktivitäten der Nutzer lebe, die auf unvorhersehbare Weise immer neue Anwendungen aufkommen lassen. Münker glaubt daher, dass in einem demokratischen Land Einschränkungen von den Nutzern stets umgangen werden können und hält die Möglichkeit, Jugendliche online zu schützen für abwegig. Entsprechende Diskussionen könnten aber sensibilisieren. Auf Nachfrage räumte der Medienwissenschaftler ein, für seine jüngeren Kinder nur bestimmte Seiten im Internet freizugeben - in der Hoffnung freilich, dass diese die Filtersoftware lernen würden zu umgehen, wenn sie älter würden.

Im abschließenden Vortrag des in Luxemburg lehrenden Rechtswissenschaftlers Prof. Mark D. Cole wurde noch einmal der krasse Unterschied zwischen der imaginären Welt der Juristen und der Realität deutlich. Er betonte, dass der Jugendschutz in Deutschland auch für das Internet gelte, auch wenn dies faktisch kaum durchgesetzt würde. Für ihn sind Gesetze auch "Risikomanagement" mit dem der Staat immerhin versuchen müsse, die Eltern zu unterstützen, auch wenn dies wenig effektiv sei. Obwohl der "Rechtsraum" mit dem "Kommunikationsraum" Internet nicht identisch sei, müsse dem Gesetzgeber die Chance eingeräumt werden, Jugendschutzprogramme und -regulierungen erst einmal auszuprobieren; auch für deutsche web sites als "ersten Schritt". Im Rahmen eines solchen ersten Schritts würde er "Sendezeiten" für bestimmte Inhalte für deutsche web sites für begrüßenswert halten. An dieser etwas weltfremden Idee war wieder einmal zu beobachten, wie wenig sich viele Experten in die neuen Nutzungsweisen des Internets hineindenken können, vielleicht, weil sie einfach zu wenig eigene intensive Erfahrungen mit digitalen Medien gemacht haben.

Fazit: Elternhaus und Schule sollen es wieder einmal richten... indem sie ihren Kindern Medienkompetenz vermitteln oder auch Filter-Software einsetzen - auch wenn der ein oder andere Experte gerne einräumt, dass Eltern damit in der Regel überfordert sind. Die praktische Unterstützung der Eltern bei dieser Arbeit lässt weiterhin sehr zu wünschen übrig...

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